Gerhard Dahl, Titisee-Neustadt
Telefonkonzerne und ihre Lobby sind Meister
im Ausschlachten der Kosten- und Abofallen
Inhaltsverzeichnis
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Sobald man sich mit den Anstrengungen befasst, die die Bundesregierung mit ihren Gesetzesvorlagen zur Eindämmung der Kosten- und Abofallen im Internet unternommen hat, bestätigt sich der Eindruck, dass es die Regierung vorzieht, nur Auswüchse (Symptome) zu deckeln statt die Ursachen (ökonomisch relevante Anreize zum verdeckten Austricksen zahlreicher konsumbereiter Kunden) im Ganzen zu beheben. Wann immer der Unmut unter den Verbrauchern wegen überhandnehmender Kosten- und Abofallen sich auch für die "Politik" als störend erwies, ergriff die Bundesregierung die Initiative und brachte Gesetze auf den Weg, um die Wogen zu glätten. Drei dieser Gesetze hat es inzwischen gegeben, und wir wollen sie uns näher daraufhin anschauen, worum es ihnen ging und wie weit sie den laut beklagten Übeln abgeholfen haben.
Mit der ersten Abhilfeaktion im Jahr 2012 schuf die Bundesregierung für mobile Verbraucher eine Option, um die Bezahlfunktion des Smartphones vom Mobilfunkanbieter ganz abschalten zu lassen, damit ungewollte Aufbuchungen von Nebenforderungen auf das Gebührenkonto insbesondere wegen Kleinstprogramm-Entgelten unterbleiben (sog. DrittanbietersperreEinfügung des § 45d Abs.3 ins Telekommunikationsgesetz mit Wirkung ab 1.05.2012).
Im gleichen Jahr 2012 folgte die zweite Abhilfeaktion in Form des für geschäftliche Bestellungen nunmehr vorgeschriebenen Klicks auf eine spezielle Schaltfläche der Webseite mit der Beschriftung "zahlungspflichtig bestellen" (sog. Button-Lösung Einfügung des § 312g a.F. ins BGB mit Wirkung
ab 10.08.2012, jetzt § 312j Abs.3 n.F. BGB. -
Die Beschriftung kann auch kurz lauten "kaufen".). Beide Parteien können nun im Moment der Betätigung des Buttons erkennen, ob und zu welchem Preis eine Bestellung abgegeben wurde. Damit sollte auch ausgeschlossen werden, dass Bestellungen auf Basis elektronisch erzeugter Dokumente behauptet werden, ohne dass ihnen eine sinnlich wahrnehmbare Willenserklärung zugrunde liegt.
Schließlich kommt es im Jahr 2017 zu der dritten Abhilfeaktion, mit der auf Behördenebene der Mangel der bisherigen Buttonlösung behoben werden soll. Es soll künftig dem Buttonklick in der Regie des fremden Inhalteanbieters nicht mehr heimlich eine andere Webseite oder eine andere, gefälschte Bestellaussage zugeordnet werden können. Nach der künftigen Neuregelung muss der abschließende Bestell-Klick beim Telefonanbieter erfolgen, nämlich in dessen Herrschaftsbereich (und nicht mehr in dem des Inhalteanbieters). Die häufigen Manipulationen des Bestelldokuments mit dem Button-Klick sollen so aufgrund einer behördlichen Einfügung des § 45d Abs.4 ins Telekommunikationsgesetz. –
Nur die Bundesnetzagentur wird die künftige Verfahrensanweisung ausarbeiten und veröffentlichen, damit Ände-
rungen schneller möglich sind. Verfahrensregelung erschwert oder unmöglich werden.
Zur Kritik:
1) Bislang war jeder der drei Gesetzesanläufe zur Bändigung der Kostenfallen zwar von sehr optimistischen Hoffnungen begleitet, doch die ersten beiden Anläufe haben die Erwartungen enttäuscht, der letzte ist (Stand Herbst 2018) noch in der Vorbereitung, und das kann dauern. Andererseits scheint die Option der radikalen "Drittanbietersperre" als vorbeugende Selbsthilfe vom Publikum nicht so richtig angenommen worden zu sein.
2) Jede der drei gesetzgeberischen Abhilfeaktionen sucht ihr Ziel anhand juristischer Regulative nur auf Umwegen zu erreichen. Der Bundesgesetzgeber verfolgt das Scheinproblem einer angeblich nötigen besseren Umsetzung des Willens der Nutzer. Das eigentliche Problem ist jedoch das ständige Verleitetwerden der Mobilfunkanbieter zu den beschriebenen "hochrentablen" Maschen und Tricksereien, die ihnen die bestehende Gesetzeslage eröffnet. Solange der Bundestag nicht direkt den Zugang zu den wirtschaftlichen Anreizen ein für alle Mal beseitigt, solange werden es die Fallensteller mit weiterhin schaffen, gegen den Willen des Telefonkunden separate Dienstleistungen unbemerkt mit in die Gebührenabrechnung einzuschleusen und dafür treuwidrig (einwilligungslos) das Bank-Lastschriftverfahren in Anspruch zu nehmen.
Die Telefonkonzerne können bis auf den heutigen Tag – ohne Sanktionen befürchten zu müssen – nach ihren eigenen Richtigkeitsvorstellungen vorgehen und unlauteren Wettbewerb betreiben. Die Abofalle mag als Massenphänomen also reduziert werden, es wird ihr aber nicht der Nährboden genommen. Den meines Erachtens einzig wirksamen Weg, eben die Verödung der Kosten- und Abofallen zu erreichen, zeige ich im folgenden Kapitel 10 auf. Er stopft die bekannten Löcher der beliebten Tricksereien und beendet die zementierte Privilegienlandschaft.
3) Ferner fällt als Gemeinsamkeit aller Abhilfeaktionen auf, dass keine Maßnahme das Privileg der Telefonanbieter anrührt, weiterhin anhand eigener Beurteilung zu entscheiden, welche Kundenbestellung über das hauseigene Kundenkonto abgerechnet und bankmäßig eingezogen werden darf und welche nicht. Ob Inhalteanbieter als Verkäufer von Entgeltforderungen akzeptiert werden, obwohl sie durch Betrügereien aufgefallen sind, wird voraussichtlich unverändert der Telefonanbieter entscheiden. Mit einem konsequenten eigenen "Aussieben" würde er sich "den eigenen Ast absägen", auf dem er sitzt. So wie schon im Kapitel 3.2 beschrieben, deutet vieles darauf hin, dass es sich die Telefonanbieter generell nicht nehmen lassen wollen, letztlich selbst die Regeln aufzustellen, nach denen gemäß ihrem unternehmerischen Konzept mit Inhalteanbietern und Kunden umgegangen wird.
Solange Inhalteanbieter den mobilen Kunden nicht wenigstens einen freien Zahlungsmittler für den Geldeinzug (mit) anbieten, krankt die sog. "Drittanbietersperre", von der schon im Kapitel 1.1 gesprochen wurde, an dem Nachteil, dass der "Kahlschlag" dieser Sperre auch die nützlichen und u. U. wichtigen Wenn Sie hier klicken und dann noch einmal
auf den Ausdruck "wichtige Vorteile" am Ende
des Kap. 2.1, werden Beispiele für die zahlreichen
durchweg seriösen Nutzungsmöglichkeiten auf-
gelistet, auf die viele Nutzer nur ungern verzichten Möglichkeiten der Zahlfunktion auslöscht. Mit der Zeit wird diese Palette nützlicher Angebote vermutlich weiter wachsen. Auch über die offiziellen 0900-Nummern lassen sich unkompliziert Informationsdienste, Unterhaltungsdienste und "sonstige Dienste" aufrufen. Und auch das Bezahlen sog. In-App-Engelte (bei Spielen und anderen SmartphoneProgrammen) wird zuweilen gern wahrgenommen. All das geht mit der Sperre verloren.
Die umfassende Drittanbietersperre ist daher für viele Nutzer keine sinnvolle Lösung. Wie gering der Anteil der mobilen Nutzer geblieben ist, die von der Drittanbietersperre Gebrauch gemacht haben, lässt sich bislang kaum schätzen. Vielleicht sind es 15 % aller Smartphone-Nutzer.
Die als "seriös" aufgeführten Diensteanbieter sind durchweg daran interessiert, sich einen guten Namen aufzubauen, um weiterhin von Kunden in Anspruch genommen zu werden. Wenn Anbieter von Kleinstprogrammen hingegen nur ein Augenblicksinteresse befriedigen können, sind für sie die Besteller typische Einmalkunden, so dass nachhaltige Seriosität für sie weder ein Werbemoment noch ein Erfolgskonzept ist.Mobile Kunden würden es sehr begrüßen, wollten die Telefonanbieter ihnen statt der radikalen "Drittanbietersperre" eine Positivliste anbieten, um selektiv diejenigen gewünschten (nützlichen) Dienstearten anklicken zu können, die weiterhin abrufbar bleiben sollen, während nur das Übrige gesperrt wird. Für den Telefonanbieter wäre dies technisch keine Hürde, das ließe sich also durchaus einrichten und anbieten. Dann blieben bei solcher Selektivität allerdings gerade die für die Kunden riskanten Gelegenheitsanbieter von Kleinstprogrammen auf der Strecke, an denen dem Anbieter wegen der Verdienstmöglichkeiten vital gelegen ist. Daher wird es zu solcher Selektivität sicherlich vorerst nicht kommen.
Hier geht es also um den geforderten speziellen Klick auf einen Bestellknopf in der Webseite des Inhalteanbieters. Das ist ein klickbares Feld, das mittlerweile jeder kennt und das die Aufschrift «zahlungspflichtig bestellen» (oder ähnlich) trägt. Die Norm steht im BGB als § 312j Abs. 3 n.F. und lautet:
«(3) Der Unternehmer hat die Bestellsituation bei einem Vertrag nach Absatz 2 so zu gestalten, dass der Verbraucher mit seiner Bestellung ausdrücklich bestätigt, dass er sich zu einer Zahlung verpflichtet. Erfolgt die Bestellung über eine Schaltfläche, ist die Pflicht des Unternehmers aus Satz 1 nur erfüllt, wenn diese Schaltfläche gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „zahlungspflichtig bestellen" oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet ist».
Verglichen mit so manchem Paragrafen des TKG kann man sich hier an der vorbildlich klaren Gesetzessprache erfreuen. Beim BGB-Paragrafen gab es für den Gesetzgeber nichts zu vertuschen, und so kann er sich erlauben, auf verständliche Weise alle nötigen Details für die Umsetzung anzusprechen. Diese Bestimmung lesen die Rechtsuchenden einmal und haben sie verstanden, die Bestimmung so manches TKG-Gesetzes lesen sie dreimal und haben sie immer noch nicht verstanden.
Doch die Button-Lösung als solche krankt an dem erst später eingestandenen Nachteil, dass man dem Kleinprogramm-Dienstleister zugesteht, auf Anfrage selber darzulegen, wie dasjenige Beweisdokument zustande gekommen ist, das mit dem Bestell-Button verknüpft ist. Es bleibt also dem Websitebetreiber und seinen Programmierern überlassen, aus dem Klick des Kunden auf den vorbereiteten Button das nötige Bestelldokument zu "zaubern".
Wer sich mit Webseitenprogrammierung auskennt, weiß, dass alles Erzeugen digital geschaffener Dokumente immer zu Recht einem leichten Verdacht ausgetüftelter Manipulierbarkeit ausgesetzt ist. Internetseiten lassen sich im Verborgenen präparieren. Es konnte daher nicht ausbleiben, dass eine verfeinerte Technik der "iFrames" innerhalb der html-Programmiersprache angewendet wurde, um ein benötigtes (manipuliertes) Dokument modular aufzubauen: Wie ein Textbaustein werden beispielsweise die mit einem Kundenklick erlangten Daten durch "Transklusion" über den Hypertextverweis in das zweite untergelegte Dokument eingefügt, so das es vor dem Kunden verborgen bleibt, aber hernach als Bestelldokument ("Billingseite") herhalten kann. Und welcher mobile Besteller eines Kleinstprogramms (Kochrezepts, Wetterberichts, Sportschau usw.) nimmt sich die Zeit und sichert die angezeigte Bestellseite durch schnelles Speichern eines "Screenshots", also eines kurzerhand erzeugten Fotos des auf dem Handy-Bildschirm angezeigten Bildes der betrachteten Angebotsseite? Täte er das, besäße er zwar ideales Beweismaterial. Doch nach einem Klick auf ein verlockendes Werbebanner kommt er gar nicht dazu, die nur kurz angezeigte Seite noch zu fotografieren. So kann die Abzockmasche mit der präparierten Internetseite ihren Lauf nehmen.
Gewiss waren dem Gesetzgeber diese künftigen Schwachstellen bei Normierung des "Bestell-Buttons" auch bekannt. Aber man müsste der Telefonlobby einen groben Vorwurf machen, wenn sie die Gesetzesverfasser nicht von der scheinbar ausreichend stabilen Gesetzeslösung überzeugt hätte.
Fünf Jahre später zeigt sich, dass die Internet-"Epidemie" der Kosten- und Abofallen weiter grassiert. Der 'Verbraucherzentrale Bundesverband' befand im November 2016 an der schon zitierten Stelle: «Die Beratungspraxis in den Verbraucherzentralen zeigt, dass sogenannte 'Abo-Fallen', also unberechtigte Rechnungsposten auf der Handyrechnung, immer noch ein großes Problem darstellen.» Die Unzufriedenheit der Verbraucher vermochte kurz vor der Bundestagswahl (September 2017) die Politiker zu beunruhigen, und so kam es im Juli 2017 zum dritten Mal zu einer weiteren Gesetzesbestimmung, die im § 45d Absatz 4 TKG formuliert ist.
Ich zitiere hier einmal das neue Gesetz (nur unwesentlich gekürzt), da es jetzt so aussieht, als hätte die Bundesregierung inzwischen etwas von ihrer Selbstsicherheit abgelegt und setze lieber auf einen fortlaufenden Prozess außergesetzlicher Regulierung statt auf einen abgeschlossenen einmaligen Gesetzgebungsakt:
«(4) Die Bundesnetzagentur legt nach Anhörung der betroffenen Unternehmen, FachkreiseDazu darf man auch die bekannten Verbände der Telekommuni-kations-Anbieter mit ihrer Lobbyfunktion zählen: BITKOM, VATM, BREKO, ANGA, BUGLAS. und Verbraucherverbände Verfahren fest, die die Anbieter öffentlich zugänglicher Mobilfunkdienste (...) anwenden müssen, um die Identifizierung eines Mobilfunkanschlusses zur Inanspruchnahme und Abrechnung einer neben der Verbindung erbrachten Leistung zu nutzen. Diese Verfahren sollen den Teilnehmer wirksam davor schützen, dass eine neben der Verbindung erbrachte Leistung gegen seinen Willen in Anspruch genommen und abgerechnet wird. Die Bundesnetzagentur veröffentlicht die Verfahren und überprüft sie in regelmäßigen Abständen auf ihre Wirksamkeit.»
Geht es um Wirtschaftsinteressen und lässt der Gesetzgeber ein angebliches Hauptmotiv durchblicken, so sollte man vorsichtig sein. Das Gesetz will den arglosen Verbraucher besänftigen und spricht deswegen vernehmbar den nötigen Schutz des "Willens" des Teilnehmers an. Das verbale Bekenntnis kostet ihn aber nichts, es wird ihn jedenfalls nicht daran hindern, im Ergebnis doch die wirtschaftlichen Interessen über den gebotenen Schutz der Verbraucher vor Rechtsnachteilen zu stellen.
Bezeichnenderweise geht es auch bei diesem dritten Gesetzesanlauf wiederum nicht um die Beseitigung der massiven Anreize zum Stellen von Abofallen, obwohl es ein Leichtes wäre, dem ein für allemal den Nährboden zu entziehen. Aber so wie ein Arzt schon mal fürchten könnte, einen wichtigen Patienten durch Gesundung zu verlieren und ihn lieber mit speziellen Heilmethoden kuriert, so kommt es mir vor, dass es auch der Bundesregierung mit diesem Gesetz mehr um den Schutz von Privilegien als um das Beenden der Unbill unberechtigter Zahlungsabbuchungen geht. Die Unruhe stiftenden Klagen sollen nachlassen, das Übrige interessiert kaum, und Verzerrungen der Wettbewerbslandschaft durch Aufheben der unbegründeten Privilegierungen zu beenden steht nicht auf ihrer Agenda.
Eine obere, dem Bundeswirtschaftsministerium unterstellte Bundesbehörde soll also alsbald eine einverständliche Lösung entwickeln und flexibel begleiten. Doch warum verspricht sich die Bundesregierung diesmal einen größeren Erfolg davon, wenn man sich des Einvernehmens der anbieterseitig Mitwirkenden versichert? Warum geht es um einen von den Anbietern verfälschten "Willen" der Verbraucher (das Gesetz spricht von "gegen seinen Willen in Anspruch genommen") und nicht um den verfälschten und anbieterseitig verletzten rechtsverbindlichen siehe dazu die letzten zwei Absätze des Kapitel 3.1
Vertrag über Mobilfunkleistungen? Und welches sind die eigentlichen sachlichen Schwierigkeiten, denen sich die Bundesnetzagentur wirklich stellen müsste?
Die Button-Lösung hat die Bundesregierung enttäuscht, da sich dann doch herausstellte, dass es erstens angesichts der Manipulierbarkeit elektronischer Dokumente allzu gutgläubig war, das Bearbeiten des Bestelldokuments und das Absichern dieses Abschlussdokuments in der gleichen Hand zu lassen. Zweitens hat sich die Regierung gegen die Umsetzung der europaweiten Verpflichtung gesperrt, jedem Besteller, auch dem, der auf sein Widerspruchsrecht verzichtet, unaufgefordert das Bestelldokument "auf dauerhaftem Datenträger" zu übermitteln.
Man stelle sich vor, die sorgfältig und gewissenhaft erarbeitete VerbraucherRechte-Richtlinie 2011/83/EU wäre hinsichtlich ihres Artikel 8 Absatz 7 in der Bundesrepublik korrekt umgesetzt worden und würde befolgt, dann besäße der mobile Besteller heute für jede seiner Bestellungen in seiner häuslichen E-Mail-Sammlung alle einschlägigen E-Mails, in denen er nur nachzuschauen brauchte, um sofort zu wissen, auf was er sich wann bei seinen Such- und Bestellaktivitäten eingelassen hat. Er könnte sodann bei deren Eingang zeitnah prüfen und aus frischer Erinnerung sofort erkennen, welche der ihm übersandten Bestellbestätigungen durch Widerspruch beim Mobilfunkanbieter als betrügerisch auszusondern und zurückzuweisen sind. Schlagartig gingen die Verdienste der Telefonanbieter aus eingeschleusten Rechnungsposten womöglich um weit mehr als die Hälfte zurück. – Die Lobby wusste offensichtlich, was sie hier unbedingt zu verhindern hatte.
Doch § 45p Absatz 1 TKG auferlegt dem Telefonanbieter noch nicht einmal die Verpflichtung, unaufgefordert Informationen über den Inhalt einer Bestellung zu übermitteln, obwohl solche Übermittlung im digitalen Zeitalter praktisch keinen Aufwand mehr bedeuten würde. Das Gesetz hält an der Bevormundung des Verbrauchers durch Telefonkonzerne fest, als ob die Gesetzesverfasser den Konzernen ein Entgegenkommen schuldeten.
Die Bundesregierung sucht also offenbar eine Lösung, bei der nicht am Privileg der Telefonanbieter gerüttelt zu werden braucht, das den mobilen Kunden mit möglichst wenig Informationen dastehen lässt, um seine Bereitschaft "zum Nörgeln", richtiger: zur ggf. nötigen Gegenwehr zu schwächen. Im Gespräch ist lediglich die künftige Anwendung des so genannten Redirect-Verfahrens. So nennt man die Dislozierung des abschließenden Buttonvorgangs, bei der die Bestellvorbereitung im Herrschaftsbereich des Diensteanbieters und die buttonbezogene Schaffung des Abschlussdokuments im Herrschaftsbereich des Mobilfunkanbieters stattfindet und beides somit getrennt wird. Weitere grundlegende Veränderungen dürften unerwünscht sein und nicht zur Diskussion stehen.
Da der Abofallen-Anreiz für die Telefonanbieter wohl weiterhin keinen "Schaden" nehmen soll, kann auch eine Einbindung der Telefonanbieter diese nicht davon abhalten, weiter auf der Lauer zu liegen als Käufer lukrativer Entgeltforderungen. Die Bundesregierung wird voraussichtlich wieder nur herumlaborieren, da neue Probleme sich aus den ungelösten alten breitmachen werden:
Erstens ist es der Inhalteanbieter, der den Text des anzuklickenden Abschlussdokuments der Bestellung formulieren wird und taktisch wählen kann, ob er seine Darstellungen im voraufgegangenen Bestellvorgang lieber knapp und womöglich verkürzt wiedergibt, um die Chance auf den Klick nicht zu verspielen, oder ob er die Darstellungen mit einer anderen Akzentuierung und mit übergroßer Ausführlichkeit wiedergibt, um den Besteller das Dokument nur überfliegen zu lassen. Nachdem die Dienste erbracht sind, sieht sich der Besteller dann womöglich veranlasst, seine buttonmäßige Willenserklärung wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung anzufechten und den Vertrag zu kündigen, da das zunächst angeklickte Schlussdokument ihn verständlicherweise zu einer Fehldeutung des Gemeinten veranlasste. Der Telefonanbieter wird sich schwertun, jeweils in die Streitmaterie einzusteigen, kann aber als Käufer der Forderungen von Gesetzes wegen nicht an den Inhalteanbieter verweisen. An welche rechtliche Vorgaben soll sich das neue "Verfahren" dann halten? Ein Telekommunikationsgesetz kann das allgemeine Zivilrecht nicht so ohne Weiteres aushebeln.
Zweitens kann es dem Inhalteanbieter nur recht sein, wenn sich die Bastler von Trojanern an die Arbeit machen, um sich im Kleid nützlicher Kleinprogramme den Weg ins Smartphone zu bahnen, wohinein die Nutzer selber sie mit ihren Downloads holen. Dort werden es die Trojaner unbemerkt schaffen, den Buttonklick an Nutzers Stelle zu betätigen, während der Nutzer wähnt, den Klick unterlassen zu haben. Der Nutzer wird der Existenz dieser eingenisteten "Malware" oft nur schwer auf die Spur kommen, gegenüber dem Telefonanbieter aber vehement bestreiten, jemals willentlich auf den strittigen Button geklickt zu haben. Auch hier wird es für den Telefonanbieter ungemütlich, er muss sich solchen Streitfragen stellen. Und auch hier kommt die Frage auf: An welche rechtliche Vorgaben soll sich das neue "Verfahren" halten?
Ich nenne nur diese zwei denkbaren Probleme, ohne zu wissen, welcher Einfallsreichtum die Zunft der App-Programmierer noch beflügeln wird. Programierer reagieren verständlicherweise hellwach auf jede gesetzliche Neuerung, die auf braven Bürgerschutz ausgerichtet ist und Programmierer eher provoziert, wenn sie merken, dass man ihre Kreativität unterschätzt.
Ich nehme an, dass das neu zu schaffende Verfahren nicht die entscheidend wichtigen Privilegien bei den Drohpotenzialen (siehe Kapitel 2.3.1 und 2.3.2) antasten wird. Der mit den Privilegien herstellbare Einschüchterungseffekt trägt, wie wir sahen, noch am sichersten zum Sich-nicht-wehren-Wollen der mobilen Kunden bei. Er fördert so entscheidend die Abhängigkeit der Inhalteanbieter als "Habenichtse" von den Mobilfunkanbietern. Den Inhalteanbietern und den Zahlungsmittlern sollen sie jedoch verwehrt bleiben.
Ich nehme auch an, dass sich die Telefonanbieter gegen die Verbraucherzentralen mit der Forderung durchsetzen werden, keinesfalls das Privileg des § 45p TKG zu verwässern, welches ihnen erlässt, unaufgefordert nach jedem Bestell-Klick eine Ausfertigung des Abschlussdokuments auf dauerhaftem Datenträger dem Kunden zu übermitteln. Der Verlust dieses Privilegs hätte, um es zu wiederholen, zur Folge, dass der Kunde anhand des Textes des Abschlussdokuments in Ruhe klären kann, ob er bei seiner auf dem Handy unter beengten Sichtverhältnissen abgegebenen Bestellerklärung einem Irrtum oder einer Täuschung erlegen ist. Wahrscheinlich wird sich der Kunde, wie sicherlich von der Telefonlobby weiterhin angestrebt, das Geführtwerden von den Telefonkonzernen auch in Zukunft gefallen lassen müssen.
Und wann wird überhaupt die Bundesnetzagentur unter dem Zwang, auch mit den Lobbyisten am Tisch ein wirksames Verfahren auszuhandeln, "zu Potte kommen"? Das kann gewiss noch Jahre dauern.
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